Oslo-Stories: Träume – Alles nur Literatur?

In diesem Film geht es um die Schülerin Johanna, die sich Hals über Kopf in ihre neue Lehrerin verliebt. Erschüttert von ihren Gefühlen, findet sie irgendwann den Mut, an der Tür der Lehrerin zu klingeln.

Ab diesem Zeitpunkt weiß der Zuschauer nicht mehr, was wirklich passiert und was sich nur in der Vorstellung von Johanna abspielt. Sie schreibt nämlich alles auf: ihre Begegnungen mit der Lehrerin, ihre innigsten Gefühle, ihre erotischen Regungen und auch das tragische Ende der Story. Daraus entsteht ein Manuskript, das irgendwann auch die Mutter von Johanna zu lesen bekommt. Nach dem anfänglichen Schock ist sie von der literarischen Qualität der Schrift  so begeistert, dass sie nicht mehr glaubt, dass das Erzählte wirklich passiert ist.  

Schließlich wird das Manuskript veröffentlicht und Johanna zur Schriftstellerin gekrönt, Jedoch ist sie noch nicht über ihre unerwiderte Liebe zu der Lehrerin hinweg. Erst eine neue Begegnung wirft sie wieder in den Fluss des Lebens, den sie als Autorin zwar gut in Worten fassen, in den sie aber nicht eintauchen konnte.

Dreht sich der Film – jenseits der LGBT Akzente – um das uralte Thema „Literatur oder Leben“? In gewisser Hinsicht ja, zumal in jeder dritten Szene ein Bücherregal zu sehen ist.

Jedoch lässt der Ausgang der Story auch eine andere Interpretation zu. Vielleicht hat Johanna doch Erlebtes in ihrem Manuskript geschildert.

Gerade diese Zweideutigkeit macht den Film sehenswert.

Islands: Nur die Sonne war Zeuge

In diesem Film Noir vergeudet Tom, ein talentierter Sportler, sein Leben als Tennislehrer in einem Luxus-Resort auf Fuerteventura. Nach dem verpflichtenden Umgang mit den Hotelgästen schließt er seine Tage mit Alkohol, Drogen und One-Night-Stands ab, ohne der Einsamkeit wirklich zu entkommen. Bis ein reiches Paar im Hotel auftaucht: Eine faszinierende, geheimnisvolle Frau, ein Schönling als Ehemann, ein bildhübsches Kind. Tom wird mit Einzelunterricht für das Kind beauftragt, Geld spielt keine Rolle. Es kommt zu einem Tagesausflug, zu einem Drink im Hotelzimmer, zu einer Nacht in dem Club. Am nächsten Morgen ist der Ehemann spurlos verschwunden. Hier wird der Thriller zum Erotikthriller: Die Kriminalpolizei hat die Ehefrau in Verdacht, die mittlerweile mit Tom schläft und ihn manipuliert. Wer ist diese Frau? Was will sie von Tom? Und wer ist dieses Kind, mit dem sich Tom so gut versteht?  Die Affäre wird für Tom verhängnisvoll, jedoch auch erleuchtend.

Der Name des Protagonisten ist kein Zufall. Er erinnert an dem Tom Ripley vom Patricia Highsmith, vor allem bezüglich der Atmosphäre, der sonnengebrannten Landschaft, der Dreier-Beziehung der Figuren. Aber in dieser Geschichte ist Tom nicht Täter, sondern Opfer.  

Der Plot setzt einige falsche Fährten, um die Spannung erfolgreich hoch zu halten. Dabei wirft er mehr Fragen auf, als er beantwortet.  Soll man als Einzelgänger das Leben einfach genießen oder ist man glücklicher, wenn man sich auf Beziehungen einlässt? Sind soziale Unterschiede doch unüberwindbar?  Ist man selber schuld, wenn man aus dem eigenen Talent nicht das Beste raus macht?

Es sind genau diese Fragen, die den Film über das Genre hinaus wachsen lassen und den Zuschauer zum Nachdenken bringen.

Auch bezüglich Kamera, Schnitt, Musik und Schauspieler kann der Film auf jeden Fall punkten.

Bolero: Rausch in Bildern und Musik

Wie konnte ein so sinnliches Werk wie das „Bolero“ aus einem eher introvertierten, scheinbar der fleischlicher Lust abgewandten Menschen, entspringen?

Darum geht es in diesem biographischen Film über Maurice Ravel, in dem die Entstehung des berühmten Orchesterstückes im Mittelpunkt steht.

Dabei wird die Persönlichkeit des Künstlers ausgeleuchtet, seine prägende Bindung zu der Mutter, seine asexuelle Beziehung zu Frauen, seine Verschlossenheit. Als ob das Feuer, das tief in ihm gesteckt haben muss, sich erst in der Musik habe entfachen können.

Eine Musik, auf die man in dem Film warten muss, da der kreative Prozess, mit den Einflüssen aus dem Jazz und aus der Populärmusik, einen großen Teil der Story ausmacht. Aber wenn das Werk plötzlich entsteht, dann ist es in der Lage, das Publikum in einen Rausch zu versetzen. Ein Rausch, der in der letzten Szene seinen Höhepunkt findet.

Eine Kameraarbeit, die durch elegante Bilder und Kostüme den Zuschauer in die Zeit de la Belle Epoque gekonnt versetzt, und zwei Schauspieler, die in der Rolle von Ravel und seiner Vertrauten Musia eine ikonische Ausstrahlung haben, verleihen diesem Rausch eine visuelle Komponente, welche in einem gelungenen Film nicht fehlen darf.

Pfau – Bin ich echt?

In dieser österreichisch-deutschen Tragikomödie geht es um ein wichtiges Thema: Konformität, d.h. die Anpassung an den Rollen, die uns die Gesellschaft abverlangt.

Das Thema wird durch einen geschickten Plot ad absurdum geführt. Es geht um den besten Mitarbeiter der Agentur „rent-a-friend“, welcher die Rollenanapassung als Beruf betreibt. Mal wird er als kultivierter Begleiter für einen Konzert angeheuert, mal als fiktiver Partner für eine Wohnungsbesichtigung, mal als eloquenter Sohn für den Geburtstag eines vermögenden Zeitgenossen.

Dabei schlüpft Matthias so vollkommen in die von den Kunden gefragten Rollen, dass seine eigene Persönlichkeit an Substanz verliert. Seine Frau stellt fest, dass er  keine eigene Meinung, keinen eigenen Profil mehr hat und verlässt ihn. Ab diesem Zeitpunkt setzt bei Matthias eine Krise ein. Er stürzt in die Einsamkeit, eine neue Beziehung gelingt ihm nicht, ihm bleibt nur ein Hund. Auch bei der Arbeit läuft manches schief. Langsam beginnt er, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Bis die Veränderung den Kipppunkt erreicht.

Es ist kein Zufall, dass die Story bei der bürgerlichen Oberschicht angesiedelt ist. Eine Welt von schönen Häusern, Schwimmbädern und Designermöbeln, wo Yoga-Kursen und merkwürdige Performance-Künstler nicht fehlen. Hier wird der Film zur Gesellschaftssatire: Je höher der soziale Status, desto größer die geforderte Anpassung.  

Ein Film mit Identifikationspotential: Der Zuschauer wird sich leicht in Matthias wiederspiegeln. Jeder erlebt Rollen als Zwang, aus denen man ausbrechen möchte. Jedoch umgekehrt: Jeder klatscht, wenn andere klatschen.

Der Film arbeitet mit Symbolen: Der titelgebende Pfau für Eitelkeit, der große Hund für die verlorene Männlichkeit, die Kleiderkammer für die Rollen, in die man steigen muss. In diesem Sinne ist die Nacktheit, die Matthias in der letzten Szene endlich erreicht, ein Symbol für Freiheit. Mit den Kleidern hat er endlich die ihm abverlangten Rollen abgelegt.